Hinter den Kulissen: Grillenmehl im Eichenhain – ein Behördengang

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Fritierte Grillen in Thailand. Von TakeawayCC BY-SA 3.0, Link

Wieso Grillenmehl?

Grillenmehl besteht aus zur Gänze verarbeiteten Grillen. Es ist extrem reich an Eiweiß (ca. 67%!), schmeckt neutral nussig, und kann wunderbar verwendet werden, um verschiedene Gerichte und Getränke mit Eiweiß anzureichern.

Oft bekommen wir die Frage: Wieso denn Grillenmehl und Insekten?

Hierzu gibt es zwei Antworten.

Die Erste: Wieso nicht? Wir (in Westeuropa) essen Rinder, Hühner, Schweine, Pferde, Frösche, Schnecken – wieso sollten wir nicht aus Grillen und andere Insekten oder Würmer essen?

Die zweite und herkömmliche Antwort lautet: Die Weltbevölkerung nimmt unaufhaltsam zu. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf 9 Milliarden prognostiziert. Heute sind es 7 Milliarden. Noch stärker wächst der weltweite Fleischkonsum. Seit 1970 hat er sich verdreifacht.

Die Insektenaufzucht benötigt pro Gramm Eiweiß weit weniger Ressourcen als die herkömmliche Landwirtschaft. Vor diesem Hintergrund setzt die Welternährungsorganisation FAO auf Insekten als Eiweißquelle der Zukunft. Dazu empfehlen wir den sehr interessanten Bericht der FAO „Der Beitrag von Insekten zur Nahrungssicherung, Lebensunterhalt und Umwelt (2013), als PDF hier erhältlich.

In vielen Teilen der Erde ist es ganz normal, Insekten zu essen. Auch in Deutschland gehörten bis vor 100 Jahren Insekten auf den Speiseplan, zum Beispiel als Maikäfersuppe.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Soweit so gut. Aber woher denn Grillenmehl auftreiben? 2016 haben wir ein paar Hersteller auftreiben können. Der erste Importversuch klappte wunderbar, das Paket passierte den Zoll ohne Weiteres.

Bei dem zweiten Importversuch hatten wir nicht so viel Glück. Das Paket wurde vom Zoll abgefangen. Der Zoll wandte sich an die zuständige Veterinärgrenzkontrollstelle, von dort wurde beim entsprechenden Staatsministerium nachgefragt, welches beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) nachgefragt hat, ob Grillenmehl denn überhaupt nach Deutschland eingeführt werden könnte.

Die Antwort: Das Grillenmehl ist als neuartiges Lebensmittel entsprechend der damaligen Verordnung (EG) 258/97 (die sogenannte Novel Food-Verordnung) eingeordnet. Daher bedarf es zur Einfuhr einer Zulassung nach der Verordnung (EG) 258/97. Die Notifizierung als neuartiges Lebensmittel sei nach Kenntnisstand der Veterinärgrenzkontrollstelle seitens des Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfR) bisher nicht veröffentlicht und somit könne auch keine Einfuhr gestattet werden.

Der Behördenfrust beginnt

Nach Rücksprache mit dem Staatsministerium, der uns mit dem Hinweis an das Bundesministerium weitergeleitet hat, weil die rechtliche Einschätzung vom BMEL kam, baten wir um eine Neubewertung der Rechtslage mit folgender Begründung:

Weil es sich um zur Gänze gemahlenen Insekten handelt, unterfällt das Produkt nicht der Novel Food-Verordnung. Diese Ansicht wird u.a. von der UK Food Standards Agency vertreten, siehe u.a.: http://www.food.gov.uk/sites/default/files/multimedia/pdfs/board/fsa111110.pdf (Punkte 4.10 ff) und https://www.food.gov.uk/science/novel/faqs

Des Weiteren wurde diese Ansicht durch die neue Novel Food Verordnung, die seit dem 01.01.2018 gilt und die alte ersetzte, gestützt. Die neue Novel Food Verordnung greift explizit diese legislative Lücke der gegenwärtigen Verordnung auf: Artikel 3 (2) a) v) erweitert im Vergleich zur damaligen Verordnung klar die Definition: „Lebensmittel, die aus Tieren oder deren Teilen bestehen (…)“.

Die alte Verordnung umfasste gemäß Artikel 1 (1) e) „Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die aus Pflanzen bestehen oder aus Pflanzen isoliert worden sind, und aus Tieren isolierte Lebensmittelzutaten, außer Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten, die mit herkömmlichen Vermehrungs- oder Zuchtmethoden gewonnen wurden und die erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittel gelten können“ (Hervorhebung von uns).

Das Mehl ist kein aus Tieren isoliertes Lebensmittel, weil es aus zur Gänze gemahlenen Grillen besteht.

Zusätzlich haben wir diesen Punkt aufgeführt:

Zudem schadet die unterschiedlichen Verständnisse der Behörden der Mitgliedsstaaten die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Nicht nur in UK ist der Handel mit Grillenmehl möglich, auch in den Niederlanden ist dies der Fall. (…)

Wieso oft bei solchen Anfragen kam eine recht ausweichende Antwort vom BMEL zurück:

Dazu möchte ich Ihnen zunächst mitteilen, dass der Vollzug der lebensmittelrechtlichen Vorschriften in Deutschland den zuständigen Behörden der Länder obliegt. Daher bitte ich um Verständnis, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft keine Auskünfte erteilen kann, die eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordern.

Im Übrigen kann ich Ihnen zu Ihren Fragen folgende allgemeine Hinweise geben:

Insekten für den unmittelbaren menschlichen Verzehr und Verarbeitungserzeugnisse daraus müssen künftig vor dem Inverkehrbringen gesundheitlich bewertet und zugelassen sein, sofern sie vor dem Stichtag 15. Mai 1997 noch nicht in nennenswertem Umfang in der EU für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind. Dies schreibt die neue Novel Food-Verordnung (Verordnung (EU) 2015/2283) vor. Sie ist am 31. Dezember 2015 in Kraft getreten und wird am 1. Januar 2018 verbindlich. Bis zu diesem Tag ist die bisher geltende Novel Food-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 258/97) anzuwenden. Ob bereits diese Verordnung Insekten für den unmittelbaren menschlichen Verzehr und Verarbeitungserzeugnisse daraus der Bewertungs- und Zulassungspflicht unterstellt, wird von den EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich interpretiert. Unabhängig davon müssen in Deutschland Erzeugnisse, die als Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden, den hier geltenden allgemeinen lebensmittelrechtlichen Vorschriften entsprechen (insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (sog. Basisverordnung im Lebensmittelrecht) und dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch). Danach ist es insbesondere verboten, Lebensmittel, die nicht sicher sind, herzustellen oder in Verkehr zu bringen. Die Lebensmittelunternehmer müssen im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht die Konformität der von ihnen vermarkteten Erzeugnisse mit den einschlägigen Rechtsvorschriften gewährleisten.

Da, wie oben bereits ausgeführt, der Vollzug der lebensmittelrechtlichen Vorschriften in Deutschland Aufgabe der zuständigen Behörden der Länder ist, empfehle ich Ihnen, bei den zuständigen Landesbehörden zu erfragen, wie die Vollzugsbehörden im konkreten Einzelfall agieren.

Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich zur Klärung lebensmittelrechtlicher Fragestellungen an einen in Deutschland öffentlich bestellten und vereidigten Lebensmittelsachverständigen (Handelschemiker) zu wenden. Die Adressen dieser Sachverständigen erhalten Sie beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag:

Deutscher Industrie- und Handelskammertag
Breite Straße 29
10178 Berlin
Tel: 030/20 30 8-0
Fax: 030/20 30 8-10 00
www.diht.de

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen weitergeholfen zu haben.

Und nun?

Die abgewiesene Sendung ist irgendwo in Thailand verschwunden, das Geld war weg, und wir waren frustriert. Über Deutschland einzuführen, war außer Frage. Wir haben damals auch bei einer Kanzlei nachgefragt, um die Frage gerichtlich zu klären, aber die Kosten waren zu hoch. Über andere EU Länder einzuführen, hat aus praktischen Gründen nicht geklappt.

Mit der neuen Novel Food Verodnung (die seit dem 1.1.2018 gilt) steht nun aber fest, dass Grillenmehl ein Novel Food ist. Daher bedarf es einer Genehmigung. Momentan  durchlaufen einige Insekten dieses aufwendige Verfahren. Auf der Seite der europäischen Kommission findet sich eine sehr interessante Übersicht über alle laufenden Verfahren.

Irgendwann werden wir hoffentlich Grillenmehl und andere Produkte aus Insekten anbieten können.

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