Die moralischen Ansprüche an eine juristische Person

Natürliche Personen sind mit einer Reihe von Grundrechten ausgestattet, wie beispielsweise die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) oder das Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 IV GG).

Spricht man von Grundrechten, denkt man meist an natürliche Personen wie Du und ich. Dabei gelten die Grundrechte auch für juristische Personen, sofern sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 III GG).

Wir sind der Ansicht, dass juristische Personen sich zudem den gleichen moralischen Ansprüchen wie natürliche Personen unterwerfen sollen, sofern sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

Konkret geht es um die Bezahlung von Angestellten. Bei Dr. Bronner’s verdient der höchstbezahlteste Mitarbeiter 5x so viel wie der Mitarbeiter, der am wenigsten verdient. Egal welche Spanne man als angemessen sieht, wir glauben, dass jeder Mensch grundsätzlich von einer Vollzeitstelle leben können soll. Alles andere ist im Grunde nichts anderes als Ausbeutung – und wenn man es etwas krass und überspitzt formulieren möchte, eine moderne Form der Leibeigenschaft.

In manchen Branchen ist die Ausbeutung voll-arbeitsfähiger und gut ausgebildeter Menschen eine gängige Praxis. Wir selbst kennen leider viel zu viele solcher Fälle in unserem Bekanntenkreis, vorwiegend bei Nichtregierungsorganisationen.

Denn viele Nichtregierungsorganisationen, die ihre Daseinsberechtigung in hehren Zielen begründet sehen, machen sich sowohl die Not, als auch den Enthusiasmus junger Absolventen zu Nutze.

Mit „Not“ meinen wir die Not, eine Anstellung zu finden. Mit „Enthusiasmus“ den Wunsch, für eine gute Sache zu arbeiten.

Bei Yahoo! gibt es eine Mailingliste der Nachwuchsgruppe Sektion IB der DVPW (Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft) für Menschen, die gerne im Bereich Internationale Beziehungen arbeiten möchten. Dort werden unter anderen Informationen auch Stellen oder Praktika angeboten, wie neulich vom International Civil Society Centre in Berlin:

The Centre is currently offering a trainee position as „Personal Assistant to the Deputy Executive Director“.

This is a unique opportunity to take on an entry-level position in a fast-paced environment, working within a small, enthusiastic team and closely with leading ICSOs. The traineeship is suitable for recent graduates who are keen to gain first-hand experience in the civil society sector and its management. Following a thirteen month training period with the Centre, there is a possibility that the candidate is offered a further five month training period with a partner organisation, thus having the opportunity to gain thorough insights into two different organisations both working on the international level within global civil society.

Key Tasks
You will work as part of the Centre’s Executive Team and develop an insight into most areas of the Centre’s work and management. You will have the opportunity to take a leading role in administration and organisational development of a growing organisation. Responsibilities will include:
    * Supporting the daily work of the Deputy Executive Director, e.g. preparation and follow up of meetings, calls and business trips, contact management, diary/calendar management, etc.
    * Providing assistance in the areas of general office administration, and acting as contact person for our service suppliers
    * Support in the management of various Centre projects in the Deputy Executive Director’s area of responsibility and take the lead on at least one project
    * Communications, including: preparing and laying out documents about the Centre and its activities e.g., the Centre’s quarterly and annual reports and the internal newsletter
    * Processing in- and outgoing correspondence, proofreading and translating documents in German and English
    * Developing and updating the database of the Centre’s contacts and partner organisations
    * Conducting internet-based research on specific organisations, networks, the sector as a whole, conferences etc.
    * Coordinating with other members of staff to ensure smooth running of the Centre
    * Fulfilling other tasks assigned by members of the Executive Team

Requirements
    * Strong interest in the management, administration and leadership of ICSOs
    * Proactive attitude and willingness to assume own areas of responsibility
    * Excellent organisational and coordination skills
    * Ability to work under pressure and meet tight deadlines
    * Diligent, reliable and focused way of operating with strong attention to detail
    * Team spirit
    * Strong communication skills; fluent in English and intermediate German, additional languages an asset
    * Very good writing and editing skills
    * Excellent MS Office skills (Word, Excel, PowerPoint, Outlook)
    * Experience in website administration (HTML, CRM and CMS, in particular Expression Engine) is an asset

Learning objectives
    * Understanding of the sector’s main challenges and means to address these
    * Gaining key management and coordination skills both in administration and project-based work
    * Clearer understanding of possible career paths and own potential
    * Insight into different ICSOs within global civil society
    * Ability to run an executive office to excellent standards
    * Ability to work effectively and efficiently as part of a team, but also take initiative, identifying gaps and proposing solutions
    * One in-house staff training on a topic relevant to the work of the Centre will offer an additional learning opportunity

Conditions
Duration: 13 months at the Centre and potentially 5 months in another ICSO – the latter is to be confirmed
Working hours: 40 hours/week
Holidays: 26 days p.a.
Compensation: 900 EURO per month before tax
Location: Berlin, Germany
Starting date: 18 August 2014

Application for the position
Your application should:
    * consist of a CV and cover letter – you should indicate your motivation for starting a traineeship at the Centre and how the traineeship would fit into plans for your professional future;
    * be in English; and
    * be sent by email to recruitment1@…

Zusammengefasst heisst das, dass man rund 716 Euro im Monat netto verdienen wird, oder umgerechnet einen Stundenlohn von brutto 5,62 Euro. Dabei soll man aber eine führende Rolle in der Verwaltung und Entwicklung der Organisation einnehmen und auch sonst noch eine ganze Reihe an Fähigkeiten mitbringen.

Bei den Anforderungen wird es zwar nicht vorausgesetzt, aber in der Beschreibung steht, dass sich die Stelle an junge Absolventen richtet. Man soll also auch noch einige Jahre studiert haben.

Franz Schröder antwortete in einer öffentlichen Email auf das Angebot der ICSC wie nachfolgend. Er war so freundlich, uns die Veröffentlichung zu genehmigen.

Betreff: Ausbeutung beim „International Civil Society Centre“ in Berlin

Liebes International Civil Society Centre,
konkret: Burkhard Gnärig, Helene Wolf, und Asa Mansson,
schämt Ihr Euch nicht?
Wie könnt Ihr guten Gewissens, eine „Traineestelle“ als „Personal Assistant to the Deputy Executive Director“ zu so einem Hungerlohn ausschreiben und an die 12.300 Mitglieder der IB-Nachwuchsgruppe der Sektion Internationale Beziehungen der DVPW schicken?
(Einige IB-Liste-Abonnenten mögen sich über die jetzt vielleicht beginnende „politische Diskussion“ ärgern. Euch sei gesagt: Sorry. Ich bin es auch leid, über Ausbeutung zu diskutieren. Am Ende der Mail erläutere ich, was das ganze mit Normen in den IB zu tun hat, falls Ihr eine Rechtfertigung für diese Mail an die Liste unbedingt benötigt.)
Vielleicht könnte das International Civil Society Centre folgende Fragen zu der ausgeschriebenen Stelle beantworten:
1.) Für einen Vollzeitjob zahlt Ihr 900,- EUR/Monat „before tax“…
Hallo?
Habt Ihr mal den Stundensatz ausgerechnet?
2.) Ein Trainee als „Personal Assistant to the Deputy Executive Director“…
Geht’s noch?
Was früher als Sekretariatsjob ordentlich bezahlt wurde, bezeichnet Ihr einfach als Ausbildung, um das sehr niedrige Gehalt zu rechtfertigen?
Damit es keinen rechtlichen Ärger gibt, wenn der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wird?
Ihr bietet nur „one in-house staff training“ an. Umfasst dieses Training ganze vier, sechs oder acht Stunden in den 13 Monaten traineeship?
Was kann man denn in der Zeit als „Personal Assistant to the Deputy Executive Director“ einer Organisation mit nur 12 Mitarbeitern lernen?
http://www.icscentre.org/index/team/team
Ein Trainee ist laut Wikipedia (und im allgemeinen Sprachgebrauch) „ein Hochschulabsolvent, der in einem Unternehmen systematisch als vielfältig einsetzbare Nachwuchskraft aufgebaut wird, üblicherweise durch ein Traineeprogramm mit aufeinander abgestimmten Einsätzen in verschiedenen Abteilungen, Seminaren und Netzwerkveranstaltungen.“
Meint Ihr echt, dass Euer „Traineeship“ diese Kriterien erfüllt?
3.) Bietet Ihr nicht doch nur eine Sekretariatsstelle an? Den Eindruck erweckt Eure Ausschreibung:
„Supporting the daily work of the Deputy Executive Director, e.g. preparation and follow up of meetings, calls and business trips, contact management, diary/calendar management, etc.
Providing assistance in the areas of general office administration, and acting as contact person for our service suppliers“
Etc (Kopie unten).
Warum wendet Ihr Euch dann an die IB-Liste? Findet Ihr es also in Ordnung, Hochschulabsolventen 900,- EUR/Monat „before tax“ für Sekretariatsarbeiten/Bürofachkraft anzubieten?
4.) Das „Traineeship“ soll als persönliches Investment in die eigene Karriere verstanden werden und daher sei es okay, dass man Schulden aufnimmt, um bei Euch arbeiten zu können und/oder die eigene Altersvorsorge vernachlässigt?
Nun, ein Jahr als „Personal Assistant to the Deputy Executive Director“ eines Mini-Vereins macht sich nicht so toll im Lebenslauf…
Damit bekommt man später keine verantwortungsvolle Stelle…
Und erst recht nicht eine der sehr wenigen, sehr gut bezahlten Stellen im NGO-Bereich, mit der man dann den Aufbau der eigenen Altersvorsorge nachholen und eine Familie gründen kann. Wer sich für eine NGO Karriere entscheidet, sollte von Anfang an ein angemessenes Gehalt anstreben, weil es keine besonders großen Sprünge später geben wird.
Wer von Euren bisherigen Trainees hat denn wo Karriere gemacht?
5.) Findet der Chef 900,- EUR/Monat für eine Einstiegsposition ausreichend, weil er vor 30 Jahren im ersten Job 900,- DM/Monat verdiente?
Wer freche Stellenausschreibungen an die IB-Liste schickt, sollte sich nicht wundern, wenn er freche Fragen zurückbekommt.
6.) Findet Ihr die Ausbeutung gerechtfertig, weil Ihr – hust, hust – Weltverbesserer seid, irgendwas mit hipper Zivilgesellschaft macht und andere NGOs accountable haltet? Irony Alert!
„The International Civil Society Centre acts as the Secretariat of the INGO Accountability Charter. (…) The Charter Principles codify practices for INGOs in the areas of respect for universal principles; independence; responsible advocacy; effective programmes; non-discrimination; transparency; good governance; ethical fundraising; and professional management.“
http://www.icscentre.org/area/ingo-accountability-charter
7.) Ihr wurdet 2013 finanziert von German Federal Ministry for Economic Cooperation and Development (BMZ), Rockefeller Foundation, Robert Bosch Foundation, Amnesty International, CARE International, CBM International, ChildFund Alliance, Greenpeace International, Islamic Relief Worldwide, Oxfam International, Plan International, Sightsavers International, SOS Children’s Villages International, Terre des Hommes International Federation, Transparency International, VSO International, World Vision International, WWF International, Allianz SE; The BMW Foundation; The Dräger Foundation; The Heinrich Böll Foundation; New Venture Fund; Robert Bosch Foundation; Vodafone Foundation; ZEIT Foundation; the German Central Institute for Social Issues (DZI); Initiative ProDialog; the German International Cooperation Agency (GIZ); the Humboldt-Viadrina School of Governance; and the UN Millennium Campaign.
Diese Organisationen finden es also okay, dass Ihr Euren MitarbeiterInnen weniger zahlt als zum Überleben in Berlin notwendig ist?
Wissen die das überhaupt?
Sollen wir da mal nachfragen?
Na, gerade einen Schweißausbruch bekommen?
Selbst wer extrem frugal lebt, benötigt mehr als 900,- EUR before tax, wenn er/sie fürs Alter privat vorsorgen will.
Alle sagen, man soll in jungen Jahren anfangen. Während des Studiums geht das i.d.R. nicht, aber als Trainee sollte man. Und mit ca 25 Jahren ist man ja auch nicht mehr so jung… Im Gegensatz zu Lehrlingen, die mit 18 eine Ausbildung zur Bürofachkraft machen und so eine ähnliche Qualifikation wie bei Euch erwerben…
Nach x Jahren Schule und Uni können sich eigentlich nur Kinder wohlhabender Eltern es sich leisten, ein Traineeship bei Euch anzufangen.
8.) Angenommen Euer Traineeship ist wirklich ein Karrieresprungbrett, dann würdet Ihr — wie so viele andere zivilgesellschaftliche Organisationen, die unbezahlte Praktika etc anbieten — die soziale Ungleichheit weiter stärken, weil Arbeiterkinder es sich nicht leisten können, für Euch zu arbeiten.
„How Unpaid Internships Perpetuate Rampant Inequality in the US
Internship culture has become a source of class division, favoring the privileged, excluding others from opportunities granted to their better-off peers.“
http://www.alternet.org/story/152653/how_unpaid_internships_perpetuate_rampant_inequality_in_the_us
9.) Ihr würdet gerne mehr zahlen, aber habt das Geld nicht? Ihr seid ein kleiner Verein, der ständig Fundraising machen muss, um zu überleben? Sollen wir Mitleid haben? Wieso tönt Ihr dann groß rum mit „executive“ dies und „director“ das? Und dass Ihr 2013 eure Einnahmen gegenüber Vorjahr verdoppelt hättet? Geld für eine teure neue Webseite habt Ihr doch auch…
Warum dann nicht eine Living Wage für Eure MitarbeiterInnen?
Bei Einnahmen von über einer Million und Personalausgaben von über einer halben Million lässt sich doch wohl für diese Stelle etwas mehr als „900,- EUR/Monat before taxes“ finden.
10.) Und nun für jene, die meinen, solche Emails hätten auf der IB-Liste nichts zu suchen, sich aber ständig mit IB-Theorie beschäftigen und vielleicht auch noch glauben, dass Normen eine wichtige Rolle spielten und deshalb von Wissenschaftlern erforscht und von internationalen Akteuren gestärkt werden sollten:
Ihr fragt, was soll ein erneuter digitialer #Aufschrei schon bringen? Das hatten wir doch schon vor 2 oder 3 Jahren auf der IB-Liste?
Nun, a) Überzeugende Argument können wirken. Shaming and naming, Bloßstellen auch. Beides hat diese Email versucht.
b) Schweigen würde jedenfalls Akzeptanz bedeuten und dann hätten wir noch mehr solcher ausbeuterischen und deprimierenden Stellenausschreibungen auf der Liste. Vielleicht gab es in den letzten Monaten weniger davon, weil es zuvor einen #Aufschrei gab. Diese Wirkung verblasst nun. Und ein neuer Aufschrei ist notwendig.
 und
c) selbst wenn es keine konkrete Kurskorrektur geben sollte, wäre der Aufschrei nicht erfolglos. Denn Protest gegen ausbeuterische Stellenangebote ist eine Art „Sanktion“, die auch Erfolg hat, wenn sie keinen Erfolg hat.
Häh?
Professor Christopher Daase hat im Zusammenhang mit Sanktionen gegen Russland geschrieben:
„Sinn und Unsinn von Sanktionen – Oder: Warum Sanktionen auch dann sinnvoll sind, wenn sie nicht wirksam sind
(…)
Wenn die Bekräftigung einer allgemeinen Norm die Hauptfunktion von Sanktionen ist und nicht die Erzwingung eines bestimmten Handelns, dann verändern sich auch die Erfolgsparameter von Sanktionen. Protestnoten gegen die Behandlung von Strafgefangen durch das amerikanische Militär sind nicht erfolgreich, insofern sie das Verhalten der USA ändern, aber erfolgreich (und deshalb richtig), weil sie eine Missbilligung unter Verweis auf allgemeine Normen (des Folterverbots, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, den Verpflichtungen von Besatzungsmächten usw.) ausdrücken.“
http://www.sicherheitspolitik-blog.de/2014/05/20/sinn-und-unsinn-von-sanktionen-oder-warum-sanktionen-auch-dann-sinnvoll-sind-wenn-sie-nicht-wirksam-sind/
Solidarische Grüße,
Franz Schröder

Aus der IB-Liste kamen viele zustimmende Emails. Dr. Burkhard Gnärig, Executive Director des ICSC, antwortete auch:

Das International Civil Society Centre ist von einer Reihe von Beziehern der IB- Liste wegen der o.g. Stellenausschreibung kritisiert worden.

Zwar teilen wir die geäußerten Auffassungen in keiner Hinsicht. Wir wollen aber auch unser Centre und seine talentierten und engagierten MitarbeiterInnen nicht länger der öffentlichen Schmähung aussetzen.

Daher nehmen wir mit sofortiger Wirkung die bemängelte Ausschreibung zurück und werden die Stelle nicht mit einem Trainee besetzen.

In Zukunft werden wir weder auf der IB-Liste noch andernorts Trainee-Stellen ausschreiben oder besetzen.

Burkhard Gnärig

Dr. Burkhard Gnärig
Executive Director

International Civil Society Centre gGmbH
Agricolastraße 26 · 10555 Berlin
http://www.icscentre.org/

phone +49 30 20 62 46 97 – 16
fax +49 30 20 62 46 97 – 19
mail to: bgnaerig@icscentre.org<mailto:bgnaerig@icscentre.org>

Registered Office Berlin · AG Berlin-Charlottenburg · HRB 10 93 33 · Executive Director: Dr. Burkhard Gnärig · Tax Number 27/ 604/ 02 279

Sobald wir jemanden Vollzeit einstellen können, werden wir sicherlich mehr als 900 Euro brutto bezahlen.

Zu gerne würden wir wissen, wieviel Herr Dr. Gnärig verdient. Könnte er nicht sein eigenes Gehalt minimal kürzen, um das Gehalt des Trainees etwas zu erhöhen?

Wir hoffen sehr, dass Herr Schröders Aufruf zu einem Umdenken bei Unternehmen und Organisationen führen wird.  „Faire“ Unternehmenspraktiken müssen daheim vorgelebt werden und nicht nur in der Ferne gepredigt werden.

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